Jakob Meckel

Preußisch-deutsche Impulse im japanischen Militär der Meiji-Zeit

Frank Reichherzer (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr)

Am 18. März 1885 ging der preußische Major Jakob Meckel im Hafen von Tokio von Bord eines Schiffes. Meckel war ein erfahrener Offizier und hatte als junger Soldat in den Kriegen gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 gekämpft. Später lehrte er an der Kriegsschule in Hannover und der Kriegsakademie in Berlin. Bereits früh in seiner militärischen Karriere hatte Meckel Abhandlungen und Bücher zu den Themen Taktik und Truppenführung wie auch zu Ausbildungsmethoden geschrieben. Seine Beiträge wurden viel gelesen und bildeten eine wichtige Grundlage für die Generalstabsausbildung und das Führungsverständnis in den Heeren der deutschen Bundesstaaten. Doch was verschlug einen preußischen Offizier nach Tokio, was war Jakob Meckels Aufgabe in Japan?

Kontext: globale Modernisierungsschübe

Ein Teil der Antwort auf diese Frage ist eng mit den großen Entwicklungslinien des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts verknüpft. In vielen Teilen der Welt war dies eine Epoche der Umbrüche und des beschleunigten Wandels. Diese Vorgänge verliefen überall rasant, doch man wird wohl nur wenige Orte finden, an denen der Kontrast zur jüngsten Vergangenheit stärker war als in Japan. In den gut zwei Jahrzehnten nach dem Sturz des Tokugawa-Shōgunates und dem Beginn der ‚Meiji-Restauration‘ Ende der 1860er Jahre waren die japanischen Inseln von einem abgeschotteten, feudal organisierten Gebilde mit vielen unterschiedlichen Machtzentren gegen Ende des Jahrhunderts zu einer industrialisierten imperialen Großmacht geworden. In diesem Prozess, der gerne als ‚Modernisierung‘ bezeichnet wird, spielte auch das Wandern von Wissen über den Globus hinweg und dabei nicht zuletzt das Militär- und Kriegswesen eine große Rolle.

Fragen über den Aufbau, die Ausbildung, die Ausrüstung und den Einsatz des Militärs und seine Einbindung in das politische System waren in vielen Staaten kontrovers diskutierte Themen. Viele Länder schauten auf Entwicklungen in anderen Staaten. Im Zuge dieser Beobachtungs- und Adaptionsprozesse bereiste im September 1884 eine hochrangige japanische Militärmission das Deutsche Reich. Die in Deutschland gesammelten Eindrücke bestärkten die japanische Regierung in ihrem Entschluss, einen deutschen Generalstabsoffizier als Berater zu verpflichten. Die Wahl des Kriegsministeriums in Berlin fiel auf Jakob Meckel. Nach persönlichen Gesprächen zwischen Meckel und der japanischen Delegation war diese mehr als überzeugt, in Meckel einen geeigneten Offizier gefunden zu haben. Auch Meckel reizte die Tätigkeit und er begab sich mit einem zunächst auf zwei Jahre angesetzten Vertrag auf die Reise ins ‚Land der aufgehenden Sonne‘.

Wirken: Generalstabsausbildung, Infrastrukturen und Streitkräftereform

Als Jakob Meckel nach Japan kam, war er einer von zahlreichen ausländischen Vertragsexperten, die in vielen Bereichen der Regierung und des öffentlichen Lebens als Berater fungierten. In der Armee waren bereits seit den späten 1860erJahren vor allem Franzosen als Lehrer in den Offiziersschulen tätig und prägten die Truppenausbildung. Die japanischen Verantwortlichen agierten sehr flexibel und pragmatisch auf der Suche nach ‚best-practice‘ und deren Übertragung und Einpassung. Meckels Tätigkeit war daher auf den Generalstabsdienst ausgerichtet. So nahm er seine Arbeit an der noch jungen „Rikugun Daigakkō“ auf, der Generalstabsschule des japanischen Heeres. Anhand von Beispielen aus der Kriegsgeschichte lehrte Meckel hohen japanischen Offizieren die Grundlagen von Planung und Durchführung von Operationen und das Führen größere Verbände. ‚Kriegsspiele‘ dienten als Transmissionsriemen, die erworbenen Kenntnisse auf die konkrete Situation Japans anzuwenden, sie zu vertiefen und Folgerungen aus den Ergebnissen zu ziehen. Auch wenn Meckels Tätigkeit unmittelbar nur einen kleinen Kreis des japanischen Militärs berührte, so nahmen viele seiner Schüler einflussreiche Positionen ein und gaben Wissen und Methoden in ihren folgenden Verwendungen weiter.

Meckels Wirkung ging aber auch über die Ausbildung von Generalstabsoffizieren und das Einüben moderner didaktischer Methoden hinaus. Planspiele hatten die Notwendigkeit einer flexiblen Verteidigung zur Abwehr von Invasionen und damit auch die Forderung nach mehr Beweglichkeit von Truppenkontingenten unterstrichen. Diese Schlüsse hatten erheblichen Einfluss auf infrastrukturelle Maßnahmen, allem voran auf den Ausbau eines militärisch nutzbaren Eisenbahnnetzes in Japan. Auch betonte Meckels Lehre die Funktionalität der Division als zentrale Organisationseinheit für das Gefecht. Zudem waren die 1880er Jahre geprägt von der Konsolidierung der Meiji-Regierung und der Stärkung der erlangten Machtpositionen. In Fragen des Militärs wurden – nicht nur in Japan – Reformen im Aufbau und in der Organisation von Streitkräften diskutiert. Meckels am preußisch-deutschen Modell orientierten Vorschläge – etwa zur klaren Aufgabenteilung zwischen Generalstab (Mobilmachung und Kriegführung), Kriegsministerium (Verwaltung) und der Generalinspektion (Personal- und Ausbildungswesen), die Betonung der politischen und gesellschaftlichen Rolle des Militärs und der Rekurs auf Werte wie Treue, Pflichterfüllung und Gehorsam, vertrugen sich gut mit konservativen und eher autoritär ausgerichteten Positionen und Zielen innerhalb der Meiji-Elite.

Trotz vielfältiger Aktivitäten sollte man Meckels Einfluss nicht überschätzen. Die japanischen Streitkräfte wurden nicht von einem preußischen Major binnen drei Jahren auf- oder umgebaut. Man sollte Meckels Wirken aber auch nicht unterschätzen. Als Ratgeber und Experte für viele Fragen des Militärischen banden ihn die japanischen Verantwortlichen in ihre Diskussionen um die Transformation des Wehrwesens, von Ausbildung und Führung über Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur verfassungsrechtlichen Positionierung und der militärkulturellen Orientierung des Militärs ein. Meckel brachte sich hier mit Engagement ein und sendete wichtige, für die weitere Entwicklung nachhaltige Impulse in diese Debatten aus. Meckel war so ein wichtige Mittler und Übersetzer für den transkulturellen Fluss und die Aneignung von Ideen zwischen Europa und Asien.

Nachwirken: Symbol für Verbundenheit

Fast genau drei Jahre nach seiner Ankunft in Japan verließ Meckel Ende März 1888 das Land. Die Berichte über Meckels Tätigkeit in Japan sprechen durchweg von wechselseitigem Vertrauen, Achtung und Sympathie. Sie zeugen sowohl von Unterschieden als auch von Anknüpfungspunkten zwischen Japan und Deutschland. Es wird die persönliche Verbundenheit deutlich, die Meckels über seine japanischen Jahre hinweg weiter pflegte.

Auch in Zeiten der Spannungen in den deutsch-japanischen Beziehungen im Zuge der Konflikte der Imperialmächte in Ostasien in den 1890er Jahren blieb der Austausch zwischen den Streitkräften beider Länder eng. Fast 450 japanische Offiziere waren in der Zeit von 1870 bis zum Ersten Weltkrieg als Beobachter zu Gast im Deutschen Reich oder absolvierten dort Teile ihrer militärischen Ausbildung. Viele von ihnen wurden auch von Meckel im Rahmen seiner weiteren Verwendungen willkommen geheißen. Auch wenn Meckel nur drei Jahre in Japan wirkte, so ist er – zumindest im japanischen Militär – eine Kultfigur. Als solche verkörpert Jakob Meckel die mehr als 160-jährige Verbundenheit zwischen Deutschland und Japan, die in ihren Höhen, Tiefen und Katastrophen viel enger verflochten ist, als es der erste Blick vermuten lässt.